Toxic Church: Wenn ein Podcast Wellen schlägt
Vor ziemlich genau einem halben Jahr wurde die letzte Folge unseres Podcasts "Toxic Church – Die Hillsong Story" veröffentlicht. Insider sprechen davon, dass er "die deutschsprachige evangelikale Welt so aufgerüttelt hat, wie kaum etwas anderes." Zeit, Resümee zu ziehen.
Das Feedback von Betroffenen war tatsächlich überwältigend. Noch immer erreichen mich Nachrichten von Menschen, die meinem Team und mir für den kritischen Blick von außen danken. Die von eigenen seelischen Missbrauchserfahrungen bei Hillsong oder anderen Freikirchen berichten. Viele dieser Menschen schreiben, dass der Podcast ihnen eine Stimme gebe. Ihnen klar mache, dass sie nicht alleine mit ihren negativen Erfahrungen in Freikirchen seien und ihnen bei der Aufarbeitung helfe. Ein kleiner Ausschnitt der vielen Feedback-Nachrichten lässt sich hier nachlesen:
Insbesondere innerhalb der christlichen (Freikirchen-)Szene verbreitete sich der Podcast wie ein Lauffeuer. Das führte dazu, dass sich Toxic Church zwischenzeitlich auf den Spotify-Podcast-Charts weit oben befand. Platz 2 im Bereich Gesellschaft und Platz 11 in den Gesamtcharts. Auf den Apple Podcast-Charts war Toxic Church zu Bestzeiten auf Platz 8.
Fest steht: Der Podcast hat eine Debatte über ungesunde beziehungsweise gesunde Strukturen in (Frei-)Kirchen ausgelöst. Einige Pastoren und Pastorinnen berichten mir, dass sie die einzelnen Episoden gemeinsam mit ihren Teams hören, um Missstände in ihren Gemeinden zu identifizieren und Fehler zukünftig zu vermeiden. Sogar an der Hochschule des CVJM soll der Podcast zu Lehrzwecken gehört werden.
Klar ist auch, dass Toxic Church das Thema seelischer Missbrauch in deutschen Freikirchen auf die öffentliche Agenda setzte. Einige Medien berichteten unabhängig, ich wurde zu dem ein oder anderen Interview eingeladen und durfte über unsere Recherchen erzählen. Nachfolgend findet sich eine Liste, die die weiterführende Berichterstattung nach Veröffentlichung zusammen fasst – ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- Interview im News-Podcast der dpa: Gott gegen Geld – die Hillsong Church
- Die geheimen Finanzdokumente, die mir ein Whistleblower im Laufe der Recherche zum Podcast zuschickte, konnten wir nur zu einem gewissen Grad abbilden. Ergänzend zu Folge 7, der "Habgier"-Episode, habe ich gemeinsam mit Jonathan Sachse, Investigativ-Journalist und Leiter von CORRECTIV. Lokal, weiterführende Details rund um den fragwürdigen Umgang mit Spendengeldern von Hillsong Germany e.V. veröffentlicht. Den Artikel gibt es hier zu lesen: Megakirche Hillsong: Das Geschäft mit dem Glauben
- Auch DIE ZEIT wurde auf unseren Podcast aufmerksam. Das Interview wurde im Ressort "Christ & Welt" gedruckt, online hier zugänglich: Hillsong macht Profit im Namen des Herrn
- In ihrem Podcast Hossa Talk stellten mir Hosts Jakob Jay Friedrichs und Marco Michalzik all ihre Fragen zu dem Podcast, der "die deutschsprachige evangelikale Welt so aufgerüttelt hat, wie kaum etwas anderes": 213 Vergiftete Gemeinden?! m. Kyra Funk
- Thema in Podcast Ausgeglaubt: Toxic Church – Wenn Kirche krank macht
- Artikel auf pro – das christliche Medienmagazin: Toxic Church: Gab Hillsong Germany Spendengelder für Luxus aus?
- Artikel in Konstanzer Lokal-Magazin: Hillsong Church: Parallelwelt mitten in Petershausen
Auch Hillsong Germany e.V. äußerte sich nach Veröffentlichung unseres Podcasts und bezog Stellung. Erstmalig in ihrer Geschichte entschuldigt sich die Freikirche öffentlich bei (ehemaligen) Gemeindemitgliedern: "Es war nie unsere Absicht, Menschen auszunutzen, zu enttäuschen oder zu verletzen. An den Stellen, an denen das trotzdem passiert ist, entschuldigen wir uns von ganzem Herzen dafür." Die meisten Punkte unserer kritischen Berichterstattung weisen die Verantwortlichen allerdings von sich.
Dabei fällt der Versuch auf, sich als Opfer einer Medienkampagne darzustellen. Als Grundlage nutzen die Verantwortlichen die Tatsache, dass wir im Podcast immer wieder betonen, dass wir Hillsong Germany e.V. und Hillsong Berlin e.V. mehrfach um ein Interview gebeten haben, diese allerdings abgelehnt wurden. In einem Video stellt Chef-Pastor Freimut Haverkamp diese Darstellung deutlich in Frage und verbreitet dabei Unwahrheiten.
Nachfolgend ein paar Fakten. Was stimmt, ist, dass unsere erste Anfrage Ende Juli 2022 einging. Nach einem persönlichen Telefonat bei der Pressestelle in Konstanz, fragten wir das Chef-Pastorenehepaar sowie den Münchner Hillsong-Pastor schriftlich für Interviews an. Wir lieferten dabei auch einige handfeste Hintergrundinformationen zur Produktion. Ich betonte, dass wir auf die Gesprächsbereitschaft der Verantwortlichen von Hillsong Germany e.V. hoffen, damit sich die Zuhörenden am Ende selbst ein Bild machen könnten.
Es hieß daraufhin freundlich, man wolle intern klären, “ob und inwieweit” man “darauf eingehen möchte”. Interviews mit den Pastoren wurden allerdings “aus Kapazitätsgründen” abgelehnt. Wir ließen nicht locker. Es folgten weitere Telefonate und Mails. Ich antwortete zum Beispiel, dass es an terminlichen Gründen nicht scheitern solle, da noch Monate Zeit bis zur Veröffentlichung waren:
Es blieb dabei: Uns wurde jegliche Interview-Bereitschaft verwehrt. Erneut informierte uns die Pressestelle von Hillsong Germany e.V. darüber, dass keine Kapazitäten eingeräumt werden könnten, um mit uns zu sprechen. Wir wurden stattdessen auf die Webseite und andere Online-Inhalte der Kirche verwiesen:
Damit war die Botschaft eindeutig: Niemand von Hillsong Germany e.V. wollte die Kapazitäten aufbringen, mit uns zu sprechen. Zudem wurde uns untersagt, Gemeindemitglieder zu interviewen oder "Aufnahmen jeglicher Art" zu machen.
Vor der Veröffentlichung räumten wir den Verantwortlichen innerhalb einer gängigen journalistischen Konfrontation und einer damit verbundenen zeitlichen Frist noch einmal die Gelegenheit ein, sich zu äußern. Drei Stunden vor Fristende meldete sich Freimut Haverkamp persönlich und teilte via Mail mit, dass man prüfen würde, inwiefern sie die Fragen beantworten könnten. Eine Bitte um Fristverlängerung oder weitere Kontaktaufnahmen gab es nicht.
Ein sehr ähnliches Prozedere gab es auch bei Hillsong Berlin, die uns ebenfalls keine Gesprächsbereitschaft zeigten.
Und nun? Wie steht es um die deutschen Hillsong-Gemeinden heute? Meine Quellen berichten mir, dass deutlich weniger Menschen die Gottesdienste besuchen würden. Auch die Zahlen der Freiwilligen und der Kleingruppen seien eingebrochen. Zudem wird mir gespiegelt, dass ein Großteil der Gemeindemitglieder tatsächlich dankbar für die kritische Berichterstattung sei. Offenbar hat es schon häufiger Versuche gegeben, intern auf Missstände hinzuweisen – erfolglos. Doch der Druck, in ehrenamtlichen Jobs zu dienen und Geld zu spenden, wird von den verantwortlichen Pastoren und Pastorinnen nach wie vor stetig erhöht. So auch ganz aktuell, wenn Mitglieder eindringlich aufgefordert werden, ihr diesjähriges sogenanntes "Herz-für-sein-Haus-Opfer" zu geben.
Doch bei unserem Podcast ging es nie nur um Hillsong. Es gibt einige evangelikale Freikirchen, die ähnlich hierarchisch und profitorientiert aufgebaut sind. Und so merken nun auch andere Freikirchen mit ggf. toxischen Strukturen, dass Mitglieder kritischer geworden sind. Aktuell zieht der ausgestreckte Mittelfinger einer der bekanntesten Pastoren der Freikirchen-Szene seine Kreise. Leo Bigger, Chef-Pastor von ICF, redet sich während einer Predigt in Rage. Was das Gemüt so erhitzt? Unsere Berichterstattung und, wie er selbst in Kontext stellt, rückläufige Mitgliederzahlen. Dabei geht er nicht nur uns als Macher des Podcasts an, sondern auch die Menschen, die mutig genug waren, öffentlich über ihre negativen Erfahrungen bei Hillsong zu sprechen. Opfer seelischen Missbrauchs werden diffamiert und dämonisiert. Das ist abstoßend und lässt tief blicken. Gleichzeitig bestätigt es unsere Berichterstattung auf eine sehr eindrückliche, selbstentlarvende Art und Weise.
An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ausdrücklich für das Vertrauen bedanken, das uns von den Menschen entgegengebracht wurde, die mit uns gesprochen haben. Ohne diesen Mut hätte dieser Podcast niemals solche Wellen geschlagen. 🙏🏽✨🫶🏽
Weitere Recherchen zu seelischen Missbrauch in deutschen Freikirchen sowie den Verbindungen zwischen der evangelikalen und der rechten Szene laufen. Hinweise gern an hi@kyrafunk.de